Ronde van Vlaanderen
Am Samstag den 2. April stand ich also morgens um viertel nach fünf am Bus, der mich vom Ziel in Oudenaarde zum Start der Flandernrundfahrt nach Brügge bringen sollte. Obwohl ich am Start nur kurz meine Wechselkleidung abgegeben habe, verpasste ich dann doch glatt erstmal den offiziellen Start am Marktplatz in Brügge. Also reihe ich mich in den fast endlosen Tross von Radlern ein, die sich durch Brügges Straßen Richtung Oudenaarde schieben.
Leider dauerte es nicht lange, bis sich das erste Ärgernis einstellt: bei einer Veranstaltung mit insgesamt 6.000 Fahrern auf der Benutzung von teils sehr schmalen Radwegen zu bestehen ist an sich schon problematisch, Pfosten, Schranken und weiteres Mobiliar auf den Wegen zu belassen ist jedoch schlicht fahrlässig. Entsprechend häufig gab es denn auch Knäuel aus denen sich Radler schälten, die entweder mit den Hindernissen oder gestürzten Mitfahrern kollidiert waren. Bald hatte ich dann aber Brügge hinter mir gelassen und eine einigermaßen zügige Gruppe gefunden. Vorsicht war auf den ersten 120km vor allem dort geboten, wo die oft aus Betonplatten bestehenden Straßen einen für Radreifen passenden Spalt in der Fahrbahnmitte aufwiesen. Aber genug gejammert, die Form stimmte soweit und als da tatsächlich so ein niederländischer Verein meinte, die Gruppe auf die Windkante setzen zu müssen, habe ich da mal was klargestellt…
Stichwort Windkante, das sprichwörtlich schlechte Wetter hat uns verschont, am Anfang hatten wir gar Rückenwind, der erst später von der Seite blies und in den Anstiegen der flämischen Ardennen dann auch irgendwie egal war. Das bringt uns denn auch gleich zur nächsten Station, den Hellingen. Hellingen sind kurze, gepflasterte und vorzugsweise mit deutlich zweistelligen Steigungsprozenten versehene Anstiege. Bis aufs Pflaster nicht unähnlich dem, was man an Teutoburger Wald und Wiehengebirge auch finden kann – in sofern fühlte ich mich tatsächlich fast zu Hause.
Los ging’s mit dem Wolvenberg: 700m kurz, 7,9% im Schnitt und 17,3% in der Spitze – Jagdweg lässt grüßen. Hier deutete sich aber auch gleich das nächste Problem an: Wegen der großen Teilnehmerzahl kam es zu zähfließendem Verkehr. Am Koppenberg, der wohl fiesesten Rampe auf der ganzen Tour mit 500m Länge, 9,4% im Schnitt, 22% in der Spitze und obendrein rutschigem Pflaster, ging denn auch gar nichts mehr – absteigen und per pedes bergauf. Ein Spiel, das sich am Paterberg wiederholen sollte. Wie ein belgischer Mitfahrer eine Woche später bei der Roubaix Challenge so passend bemerkte: „Du kannst den Koppenberg das ganze Jahr über fahren – nur an zwei Tagen geht das nicht.“ Genau den zwei Tagen an denen Jedermann Tour und Profirennen stattfinden.
Die nächste Enttäuschung gab es dann am Oude Kwaremont (2.000m, 4% im Schnitt, 11,6% in der Spitze), der war, wohl wegen eines medizinischen Notfalls, gesperrt. Damit blieb denn auch nur noch der Paterberg. Im Ziel blieb vor allem neben dem Ärger über die Mängel bei der Organisation, die Erkenntnis, dass die Rampen deutlich weniger zermürbend waren, als die flachen Kopfsteinpflasterpassagen – tolle Aussichten für Paris Roubaix eine Woche später.
Paris Roubaix
Entsprechend skeptisch startete ich denn eine Woche später von Busigny (glücklicherweise muss man nicht mehr den ganzen Weg von Paris fahren) Richtung Roubaix. Um möglichen Staus aus dem Weg zu gehen, habe ich dann gleich mal von Anfang an Tempo gemacht. Das hat sich auch gelohnt. Zwar waren in den ersten paar Kopfsteinpflasterstücken noch einige Radler auf der Strecke – einen gemeinsamen Start gab es wiederum nicht –, aber spätestens nach der ersten Verpflegungsstelle war überwiegend freie Bahn angesagt. Das war auch gut so, denn auf dem Pflaster kann man weder bremsen noch schalten und mit dem Lenken sollte man es auch nicht übertreiben. Im Pulk reduziert dies die Handlungsoptionen ungemein, zum Beispiel, wenn tatsächlich so eine Flitzpiepe in feinster Harakiri Manier in beide Bremsen langt, um anzuhalten und seine aus dem Halter geflogene Flasche einzusammeln…
Stürze gab es aber erstmal erstaunlich wenige, dafür stand alle paar Meter jemand am Straßenrand und flickte seine Reifen, richtete seinen Sattel, etc. Neben Reifenpannen habe ich vor allem gebrochene Sättel und Sattelstützen sowie eiernde Laufräder gesehen. Selber bin ich verschont geblieben – trotz 90kg und nur 20 Speichen vorn und hinten. Auch die 28er Reifen haben gehalten, wohl auch, weil ich mit 6,5 bar vorn und 7,5 bar hinten eher auf Durchschlagschutz denn auf Komfort gesetzt habe.
Defekte gab es eher an mir selbst zu beklagen. Während meine Handschuhe bei der Flandernrundfahrt unauffällig ihren Dienst verrichteten, hatte ich nach 50km unheimlich brennende Hände. Als ich dann meine Handschuhe zur Kontrolle ausgezogen habe, stellte ich an beiden Händen große, aufgeplatzte Blasen fest. Aber wir sind ja nicht im Fussballverein, also Handschuhe in die Tasche und weiter – waren ja nur noch knapp 20 Kopfsteinpflasterpassagen und 120km…
Generell kann man sagen, dass die Straßen in Frankreich viel besser sind als in Belgien, das Pflaster dafür wesentlich schlechter. Zum Glück war es überwiegend trocken – auch wenn Regen und Gewitter am vorhergehenden Abend nochmal reichlich Dreck auf die Strecke gespült haben. Wirklich gefährlich war allerdings der Wald von Arenberg. Hier findet man nicht nur das mit Abstand schlechteste Pflaster, es weist auch sehr ausgeprägte Spurrinnen auf und ist nicht einfach glitschig sondern glatt. Es hat mich teilweise um locker 30cm versetzt, Überholen war Glücksache. Die folgenden Stücken mit besonders schlechtem Kopfsteinpflaster waren zum Glück halbwegs trocken, nie richtig glatt und ließen sich zudem oft auf dem Randstreifen oder im Bankett vermeiden. Ja, richtig: Der einzig vernünftige Weg Kopfsteinpflaster zu fahren ist jede Möglichkeit zu nutzen, es zu vermeiden.
Muss man das also mal gemacht haben?
Im Fall von Paris Roubaix würde ich es fast bejahen, allerdings ist die Geschichte bei Nässe brandgefährlich. Im Falle der Flandernrundfahrt, die in der letzten Hälfte eigentlich eine wunderschöne Strecke hat, würde ich bei der gegenwärtigen Teilnehmerzahl und Organisation verzichten.